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Mittwoch, 14. März 2012

Rrose Sélavy (Marcel Duchamp)

Rrose Sélavy (Marcel Duchamp)
Der Name „Rrose Sélavy“ ist eine Erfindung von Marcel Duchamp (der Name
bildet ein Homophon – er läßt sich im Französischen auch lesen als
Wortlaut von „Eros, das ist das Leben“). 1921 posiert Duchamp in
Frauenkleidern als Dame für eine von Man Ray aufgenommene Fotoserie und
unterschreibt mit „Rrose Sélavy alias Marcel Duchamp“. (Abb. siehe:)
http://en.wikipedia.org/wiki/Rrose_S%C3%A9lavy

Es ist darum nicht ganz sicher, ob man Rrose Sélavy korrekterweise als
Pseudonym bezeichnen kann. Denn Duchamp gab ja bereits bei dieser ersten
Verwendung dieses Namens zugleich seine wahre Identität zu erkennen.
Freilich signierte er spätere Arbeiten (z. B. „Anémic Cinéma“ von 1926)
mitunter nur mit „Rrose Sélavy“ alleine.
(s.:) http://www.youtube.com/watch?v=dXINTf8kXCc

Rrose Sélavy taucht aber nicht nur als zweiter Name des Künstlers auf,
sondern auch innerhalb seiner Kunst - im Titel des ready-made „Why not
sneeze, Rrose Sélavy?“ (1921, Abb. siehe:)
http://en.wikipedia.org/wiki/Why_Not_Sneeze_Rose_Selavy%3F

Man könnte darum sagen, dass Rrose Sélavy eine von Duchamp erfundene Figur
ist. Anstatt für sich selbst ein Pseudonym zu erfinden, ist Duchamp
vielleicht manchmal in die Rolle seiner eigenen Figur geschlüpft. Er hat
dies auch in anderen Fällen getan: so zum Beispiel bei seiner Figur des
„Leuchtturm-Kindes“ (enfant-phare), von dem er 1912 in seinen Notizen
geschrieben hatte, dies könne auch ein Komet sein, der seinen Schweif
vorne trägt.  Dieser Beschreibung entsprechend ließ Duchamp sich 1919 oder
1921 den Kometen ins Haar rasieren und sich von Edna Hindie-Duchamp und
Man Ray fotografieren. (Abb. siehe:)
http://www.andrebreton.fr/fr/item/?GCOI=56600100228110
Daraus ließe sich der Gedanke ablesen, dass eine vom Künstler erfundene
Figur auch vom Künstler selbst verkörpert werden muss – ein Motiv, das im
20. Jahrhundert prägend wurde für die Performancekunst.

Ungewöhnlich ist, dass Duchamps Figur Rrose Sélavy auch von anderen
Künstlern übernommen wurde. Schon ab 1922 bezieht sich der surrealistische
Dichter Robert Desnos in einer Reihe von Aphorismen auf sie – nicht ohne
auf Duchamp anzuspielen. Aber auch Desnos gebraucht den Namen als
Autornamen: 1939 wird eine Sammlung ebendieser Aphorismen unter dem Namen
von Rrose Sélavy veröffentlicht.
Sofern man den Namen „Rose Sélavy“ unter dem Gesichtspunkt des Pseudonyms
betrachtet, verweist diese Entwicklung auf die interessante Möglichkeit,
dass ein erfundener Name auch von jemand anderem als dem Erfinder benutzt
werden kann. Unter bestimmten Umständen könnte dies sogar gegen dessen
Willen passieren. Wer eine Fiktion in die Welt setzt, kann ihr Fortleben
nicht alleine kontrollieren.